
Als Oliver Kirch ein kleiner Junge war, da hing über seinem Bett ein Poster von Stéphane Chapuisat. Im Kleiderschrank, fein säuberlich zusammengefaltet, stapelten sich vier Trikots von Lars Ricken. Auf seiner schwarz-gelben Bettwäsche prangte das Logo von Borussia Dortmund. Gut möglich also, dass der kleine Oliver davon träumte, irgendwann mal selbst das Trikot seiner Helden zu tragen. Vielleicht ja in einem Europapokalspiel. Im vollbesetzten Westfalenstadion. Gegen Real Madrid. Und er, Oliver Kirch, würde der beste Mann auf dem Platz sein.
Der beste Mann auf dem Platz
Gestern Abend ist dieser Traum wahr geworden. Oliver Kirch, inzwischen 31 Jahre alt, stand im Rückspiel des Champions-League-Viertelfinals von Beginn an auf dem Rasen. Das Westfalenstadion spie schwarz-gelbes Feuer, und der Gegner hieß Real Madrid. Es war Kirchs erstes Champions-League-Spiel in dieser Saison. Dortmund gewann zwar mit 2:0, schied dennoch aus. Die Mannschaft hatte furios gespielt und sich viel Respekt erkämpft. Über die Darbietung von Oliver Kirch aber herrscht auch am Tag danach fassungsloses Erstaunen. Denn Kirch war tatsächlich der beste Mann auf dem Platz.
Dass Kirch überhaupt von Beginn an spielte, war Teil einer von Jürgen Klopp initiierten Verwirrungstaktik. Ausgerechnet in diesem Spiel, gegen diesen Gegner, bei diesem Hinspielergebnis (0:3), präsentierte Klopp in der Mittelfeldzentrale zwei No-Names: Milos Jojic und eben Oliver Kirch. Die nominell besseren Spieler für diese Positionen, Nuri Sahin und Sokratis, ließ Klopp auf der Bank. Ein überraschender Wirkungstreffer für die taktischen Ausrichtungen der Gäste aus Madrid. „Unser Plan ist total aufgegangen“, erklärte Mats Hummels nach dem Spiel, „die wussten wirklich nicht, was wir machen.“
Während sich Jojic vor allem um die Zuarbeit der Kreativen in der Offensive bemühte, staubsaugte Oliver Kirch etwas tiefer stehend alles weg, was sich auch nur in die Nähe des Dortmunder Strafraums bewegte. So geschickt bewegte sich Kirch in der Zentrale, dass die Dortmunder unter seiner Regie sämtliche Angriffsbemühungen der Gegner im Keim erstickten wie erfahrene Feuerwehrleute einen Küchenbrand. Gleichzeitig war es zumeist Kirch, der die gewonnenen Bälle in der Defensive an die Vorderleute verteilte. 120 Ballkontakte zählten die Statistiker bei ihm in 90 Minuten – absoluter Spitzenwert am gestrigen Abend. Zum Vergleich: Reals Dreh- und Angelpunkt Luka Modric kam auf 97 Kontakte.
120 Ballkontakte – Modric hatte 97
Erstaunlich auch, mit welcher Klasse und Beständigkeit Kirch die Pässe im dicht gestaffelten Mittelfeld an den Mann brachte. 85 angekommene Zuspiele (bei 18 Fehlpässen) sind eine hervorragende Bilanz. Kirch spielte so, als sei das nicht das zweite Champions-League-Spiel seiner Karriere, sondern Europapokalpartie Nummer 65. Vielleicht ist es das Alter, das Kirch resistent gegen zu viel Nervosität macht. Allerdings hat er sich noch nie auf einer so großen Bühne beweisen müssen – für Lampenfieber ist man nie zu alt. Umso erstaunlicher, mit welcher Präsenz sich Kirch auf dieser Position gegen die Weltauswahl aus Madrid über den Platz bewegte. 2012 hatte ihn Jürgen Klopp als Ersatzmann für Linksverteidiger Lukasz Piszczek von Kaiserslautern nach Dortmund geholt.
Kirchs Leistung zum Trotz: Borussia Dortmund ist ausgeschieden. Das ist gleich doppelt bitter. Nicht nur, dass man dem BVB nach diesem Auftritt das Halbfinale gegönnt hätte. Man würde auch zu gerne wissen, ob sich Oliver Kirch noch einmal auf so einem Niveau bewegen kann. Das wäre dann in der Tat der Stoff, aus dem die Träume sind.
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